Wie aus Margot Schöning eine Polly wurde
Am 11.März wurde Margot Schöning 85 Jahre alt. Oder sollte man besser sagen jung? Nach wie vor ist sie fast an jedem Wochenende auf Turnieren unterwegs oder ist als Journalistin bei vielen kulturellen Events dabei. Fast alle, die sie kennen, nennen die so viel Lebensfreude ausstrahlende Frau nie bei ihrem eigentlichen Namen sondern nur Polly. Wie sie zu diesem Namen kam, erzählt sie uns nun selbst.
Polly und „Die Dreigroschenoper“
„Es ist meiner frühen Geburt geschuldet, dass ich Bertolt Brecht und Helene Weigel selbst erlebte. Es zog mich immer wieder ins Berliner Ensemble. Das war etwas ganz anderes als die sonstige Theaterszene.
Fasziniert sah ich mehrfach „Die Dreigroschenoper“, aber auch „Mutter Courage“ oder den „Kaukasischen Kreidekreis“, dabei selbst noch im Rang auf roten Samtstühlen sitzend.
Die Songs kannte ich bald auswendig. Mir gefiel vor allem Polly, die eitle, kecke, starrköpfige, schöne Tochter von Jonathan Jeremiah und Celia Peachum, Firmenchefs von „Bettlers Freund“ im Londoner Stadtteil Soho.
Polly, Aushängeschild der Bettler Ganoven, faszinierte mich stets aufs Neue, viel mehr als Mackie Messer, Londons berühmter Gangsterboss und stadtbekannter Frauenheld.
Polly und Mac
Doch bevor der Name Polly zu meinem Synonym und ich damit in der Künstlerszene und später unter meinen Pferdesport-freunden bekannt wurde, musste ich erst den inzwischen vielfach ausgezeichneten Grafiker, Illustrator und Karikaturisten Peter Muzeniek kennenlernen, der in Leipzig an der Hochschule für Grafik und Buchkunst studierte. Ich arbeitete zu dieser Zeit zuerst bei der Wochenzeitschrift „Die Wirtschaft“ und später beim DDR- Fernsehen.
Viele Dienstreisen organisierte ich so, dass sie über Leipzig führten. Peter Muzeniek war nicht nur gut bekannt in der ein-drucksvollen Studentenmensa, die mir überaus gefiel und die im Osten, auch in Berlin ihres gleichen suchte, sondern auch in den meisten Kneipen der Messestadt und vor allem in den Jazz-Kellern. Er war ein gern gesehener Gast.
Nach reichlich Bier setzte sich der spindeldürre Kerl mit dem strähnigen blonden Haar ans Klavier, haute in die Tasten und sang dazu, am liebsten die Moritaten aus der Dreigroschenoper. Nach reichlich spendiertem Gerstensaft und kleinen Kurzen ließ er Klavier Klavier sein, sprang auf, stampfte mit den Füßen, gestikulierte wild und sang dazu unisono am liebsten „Siehst Du den Mond über Soho“.
Das machte sich noch viel besser mit einer Partnerin. Wenn ich in Leipzig war, musste ich im Duett Polly Peachum sein. Kein Wunder, dass wir bald nur noch Mac und Polly hießen. Das blieb auch später in Berlin so, nachdem Mac sein Leipziger Studium erfolgreich mit Diplom abgeschlossen hatte und in die Hauptstadt gezogen war.
So hatte der Haifisch Mac erst Leipziger und später Berliner Zähne mit keiner minderjährigen Witwe an seiner Seite, sondern einer Journalistin- Polly. Mac kam mir abhanden, aber mein Spitzname Polly blieb so intensiv an mir haften, dass viele Bekannte meinen Vor- und Familiennamen gar nicht kennen.“
Foto: Margot Schöning (privat)